EDITION BÖTZOW BERLIN
Vorwort von Prof. Hans Georg Näder, mit Beiträgen von Peter Herbstreuth, Ulrich Krempel und Sabine Kampmann. Dieser Katalog erschien anlässlich der gleichnamigen Ausstellung auf Bötzow Berlin, 26. April - 26. Mai 2013.
Weitere Informationen zu BÖTZOW BERLIN
LEBENS-
KUNSTWERK
FUTURING
Kann ein Wort ein Kunstwerk sein? FUTURING wird von EVA & ADELE seit 1991/92 immer wieder im Gespräch sowie als Schriftzug in ihrem materiellen Werk verwendet. Der Begriff nimmt darin eine Schlüsselfunktion ein. EVA & ADELEs mit FUTURING eng verwobene Arbeit dreht sich um Zeit, um Identität und darum, was wir werden können, wenn wir etwas werden wollen. Was EVA & ADELE werden wollten, steht uns seit mittlerweile zwanzig Jahren vor Augen. Wir kennen die beiden aus der pers&o
EDITION BÖTZOW BERLIN
Vorwort von Prof. Hans Georg Näder, mit Beiträgen von Peter Herbstreuth, Ulrich Krempel und Sabine Kampmann. Dieser Katalog erschien anlässlich der gleichnamigen Ausstellung auf Bötzow Berlin, 26. April - 26. Mai 2013.
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LEBENS-
KUNSTWERK
FUTURING
Kann ein Wort ein Kunstwerk sein? FUTURING wird von EVA & ADELE seit 1991/92 immer wieder im Gespräch sowie als Schriftzug in ihrem materiellen Werk verwendet. Der Begriff nimmt darin eine Schlüsselfunktion ein. EVA & ADELEs mit FUTURING eng verwobene Arbeit dreht sich um Zeit, um Identität und darum, was wir werden können, wenn wir etwas werden wollen. Was EVA & ADELE werden wollten, steht uns seit mittlerweile zwanzig Jahren vor Augen. Wir kennen die beiden aus der persönlichen Begegnung oder aus ungezählten Medienberichten als zwei „Damen" in extravaganter Aufmachung, die stets zauberhaft lächeln und bei keinem Großereignis der Kunstszene zu fehlen scheinen. EVA & ADELE haben sich sowohl als Medienstars und Kunstszenefiguren wie auch als Privatpersonen selbst erschaffen und erfinden sich seitdem von Tag zu Tag neu. Dass wir sie jedoch stets als „Damen" in Anführungszeichen wahrnehmen und bezeichnen, ist Programm und hängt mit den gezielt eingesetzten Bruchstellen zusammen, die sie in ihr zwillingshaftes Erscheinungsbild eingebaut haben. Kleidung, Schminke und Habitus erzeugen zunächst ein fast übercodiertes Bild von Weiblichkeit, das durch Evas Körperbau und die kahlrasierten Köpfe zugleich erheblich irritiert wird - beide sind weder als Frau noch als Mann klar identifizierbar. So präsentieren sich EVA & ADELE als Doppelwesen mit zweideutiger Geschlechtsidentität. Und genau das ist es, was sie werden wollen: Mann und Frau zugleich, in permanenter Oszillation. Mit diesem Konzept fordern sie nicht nur die Kunstszene, sondern ganz generell die tradierte Geschlechterordnung unserer Gesellschaft heraus.
In unserer vom heterosexuellen Paradigma geprägten Welt ist die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten eng begrenzt: Man hat entweder Mann oder Frau zu sein - ein Dazwischen gibt es in der Regel nicht. In diesem Denken bestimmt das biologische Geschlecht (Sex) immer das sozial geprägte Geschlecht (Gender) beziehungsweise die Geschlechtsidentität. Alles ist auf Eindeutigkeit angelegt; Fehler oder Abweichungen werden allenfalls im Sinne von Verwechslungen akzeptiert. Ein vermeintlich im falschen Körper geborener Transsexueller kann ein Leben lang auf der Suche nach seiner eigentlichen Geschlechtsidentität sein. Genau diese Unterdrückung von Mannigfaltigkeit wird durch EVA & ADELE massiv in Frage gestellt. Indem sie nämlich mit ihrem künstlerischen Konzept am eigenen Körper ansetzen, gelingt es ihnen, das Sex-Gender-System empfindlich zu stören. Sie scheinen genau das prototypisch zu verkörpern,[1] was Judith Butler mit dem Begriff der Performativität gefordert hat: die Veränderung des zukünftigen Diskurses über Geschlechtsidentität durch wiederholte (künstlerische) Setzungen in der Gegenwart.[2] Der Einsatz von Kleidung und Schminke macht Geschlechtsidentität als Imitation sichtbar und zieht damit zugleich die Idee heterosexueller Originalität selbst in Zweifel.
Diese performative Praxis spiegelt sich im Begriff FUTURING bzw. dem Schriftzug FUTURING wider. Die im Englischen nicht existierende Verlaufsform ist ihre eigene Wortschöpfung, die im Deutschen vielleicht mit „zukunften" oder in der Ruhrgebietsvariante mit „am Zukunftmachen(-Sein)" zu übersetzen wäre. Egal ob im Gespräch, als Slogan ihrer Stempel, als gemalter oder gezeichneter Schriftzug oder als Neonleuchtschrift verwendet, das Wort zielt auf eine Antizipation von Lebensformen und Geschlechtermodellen, die in der Zukunft selbstverständlich sein werden. Dabei spielt sich FUTURING als künstlerisches Konzept und Lebenseinstellung ganz in der Gegenwart ab und meidet jede Form der Historisierung und jeden vordergründigen Verweis auf eine persönliche Vorgeschichte. Deshalb reduziert sich die Biographie, die EVA & ADELE von sich publizieren, auch auf die Angabe ihrer Körpermaße (Oberweite, Taille, Hüfte). An die Stelle der üblichen Lebensdaten treten im materiellen Werk der Künstlerinnen die sogenannten Biographischen Skulpturen, in denen Spuren ihrer Lebenszeit verborgen sind.
So verhält es sich auch bei der Biographischen Skulptur No. 9, dem „House of Futuring". Die zum Hausbau verwendeten Leinwände stammen noch aus der Zeit vor dem gemeinsamen Lebenskunstwerk EVA & ADELE. Sie wurden ursprünglich also nicht gemeinsam, sondern getrennt bearbeitet. Die dicken Farbschichten, mit denen die beiden sie später übermalten, scheinen nun - ähnlich wie die Schminke auf den Gesichtern des Paares - einen vermeintlich wahren und geheimnisvollen Kern zu verdecken. In ihnen speichert sich die verflossene Zeit und bleibt als Schichtung hintergründig, aber dauerhaft präsent. Zugleich verweisen alle Leinwände aber auch auf das „Zukunften", ist doch FUTURING in roter Ölfarbe auf ihnen zu lesen.
EVA & ADELE kommen, wie sie selbst immer wieder betonen, aus der Zukunft und bauen hier, in unserer Gegenwart, ein Haus - ist das nicht paradox? Es ist genauso paradox wie das gesamte Lebens-Kunst-Konzept des Künstlerduos, das mit Zeiten und Biographien spielt und sich dabei offenbar ganz hervorragend in der Gegenwart einrichtet. Der architektonische Aufbau des „House of Futuring" lässt zwei Haustypen assoziieren. Von außen ist dies zunächst die naive Urform eines Hauses mit Spitzdach, wie wir sie aus Kinderzeichnungen kennen und die nur noch durch einen gemalten Schornstein mit aufsteigendem Rauch zu vervollständigen wäre. Zum anderen wird im Inneren des Hauses der antike Tempel zitiert. Gleich einer Cella befindet sich hier ein fensterloser Raum, der vom Eingang her nur durch einen umlaufenden Gang erreicht werden kann. Während sich allerdings in der Cella der antiken Tempelarchitektur eine Götterstatue befand, ist der Raum in EVA & ADELEs „House of Futuring" vollkommen leer. Und zugleich ist er es auch wieder nicht: Denn EVA & ADELE sind auch hier permanent präsent. Die Augen der Künstlerinnen nehmen uns von oben herab - von der Unterseite des Daches aus - ins Visier.
„Wherever we are is museum" - ein anderer immer wiederkehrender Slogan EVA & ADELEs - entfaltet vor diesem Hintergrund seine Bedeutungsfacetten: „museum" meint dabei vor allem das Museion der griechischen Antike, einen den Musen geweihten Tempelbezirk. Diese Göttinnen der bildenden Kunst werden von EVA & ADELE in ihrem Lebens-Kunst-Konzept gewissermaßen selbst verkörpert. Mit dem „House of Futuring" haben sie einen Tempel für sich und aus sich selbst heraus geschaffen. Gleichzeitig zitieren sie aber auch das Haus als Sehnsuchtsmotiv: als Sehnsucht nach einem Ort, an dem man zur Ruhe kommen kann, als Sehnsucht nach Heimat, Heimkehr und Geborgenheit. Das „House of Futuring" ist somit eine objektgewordene Metapher des eigenen Identitätsgehäuses, das die Künstlerinnen für sich selbst erfunden haben und in dem sie sich, ihre Kunst und ihr Leben einrichten, an dem sie fortwährend arbeiten und bauen.
Die neueste Inszenierung von FUTURING, die Neonleuchtschrift auf dem Schornstein des Bötzow-Areals, ist ebenfalls eng mit einem architektonischen Element verknüpft. Dieses weckt allerdings ganz andere Assoziationen. Nicht Schutz, Rückzug, Geborgenheit im Inneren eines Hauses, sondern gerade der Weg nach draußen, der Durchzug im wahrsten Sinne des Wortes, wird durch den Schornstein thematisiert. Der Blick der Betrachter richtet sich durch den neonpink leuchtenden, nach oben sich verjüngenden Schlot zunächst in den Himmel und wird durch die entgegengesetzt, von oben nach unten verlaufende Schrift wieder zum Haus zurückgeführt. Blickbewegung und Architektur unterstützen die dem FUTURING-Konzept eigene Prozesshaftigkeit. Dass es sich bei diesem Prozess auch um fortwährende Arbeit handelt - wenn auch um eine äußerst heiter und spielerisch vorgetragene Arbeitsvariante -, spiegelt sich in der Symbolik der Industriearchitektur. Kaum ein Architekturelement hat wohl eine derart weitreichende Umcodierung erfahren wie der Fabrikschlot: Vom Sinnbild für eine von entfremdeter Arbeit geprägten industrialisierten Gesellschaft ist er mit der Umnutzung von Industriearealen zum Wahrzeichen des Postindustrialismus geworden und weckt nun mitunter romantische Erinnerungen an längst vergangene Zeiten.
Ein Wort kann ein Kunstwerk sein! Das von EVA & ADELE erfundene FUTURING-Konzept nimmt immer wieder neue Gestalt an. Zum einen wird ihre Worterfindung auch von anderen Menschen aufgegriffen und je individuell nutzbar gemacht - eine kommunikative Praxis, die dem performativen Charakter der künstlerischen Arbeit EVA & ADELEs entspricht. Zum anderen nimmt FUTURING auch in ihrem gegenständlichen Werk immer wieder neue Formen an, so dass ganz unterschiedliche materielle Kunstwerke entstehen. Beides findet im Geiste des FUTURING statt, jenem künstlerischen Vorgehen, das ein fortwährendes „dran am Zukunft machen" bedeutet.
Sabine Kampmann
[l] In diesem Sinne verkörpern sie jenen von Donna Haraway beschriebenen materiellsemiotischen Akteur", dem es gelingt, Sex und Gender prozessual gleichzeitig entstehen zu lassen und so gegenseitig aufzuheben. Vgl. Donna Haraway, „Situiertes Wissen. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus und. das Privileg einer partialen Perspektive", in: Dies., „Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen", hrsg. von Carmen Hammer und Immanuel Stieß, Frankfurt/Main und New York 1995, S. 96
[2] Vgl. Judith Butler, „Das Unbehagen der Geschlechter", Frankfurt/Main 1991, S.200 ff.
Dr. Sabine Kampmann ist Kunst- und Kulturwissenschaftlerin. Seit 2002 lehrt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen u. a. in den Bereichen Kunst und visuelle Kultur des 19. bis 21. Jahrhunderts, Gender Studies, Künstlertum und Autorschaft.
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Verlagsprogramm des Prof. Hans Georg Näder Verlages